Markup - Historisch oder Cool?

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18.08.2013

Markup ist eine feine Sache - leider wird es mehr und mehr aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt. Hier eine Lanze fürs Markup zu brechen, geschieht aus einem konkreten Grund

Markup - was ist das? Zunächst sollte ich erzählen, was ich unter diesem Begriff verstehe: Das Auszeichnen von Texten mit semantischen Markern. Ein einfaches Beispiel dafür ist HTML - die HyperText Markup Language. Dort wird ein Textfragment als Überschrift gekennzeichnet, indem es in <h1>diese Tags</h1> eingeschlossen wird.

Diese Art und Weise des Anreicherns von Texten um ihre Bedeutungen ist sehr alt: bereits mit der Erfindung des Buchdruckes wurde diese Vorgehensweise verbreitet: In der Druckerei konnte man Texte nicht nur vervielfältigen, sondern auch durch verschiedene künstlerische Kniffe aus der Masse der anderen Druckerzeugnisse herausheben.

Dies führte dann dazu, daß einzelne Textabschnitte entsprechend ihrer Bedeutung anders formatiert wurden. Dazu gehörten unter anderem die Festlegung von Schriftart und -größe. Schriftsatz war aber ein schwieriges Geschäft - ein Handwerk, dessen Erlernen viele Jahre der Ausbildung und Übung verlangte. Ein einfacher Autor konnte dies nicht leisten: er verfügte nicht über die Zeit und nicht über die Ausrüstung.

Also begann man, in den Texten Anweisungen für den Setzer zu hinterlassen, welche Abschnitte besonders hervorgehoben werden sollten, wo Überschriften standen und wo unter Umständen Einrückungen die besondere Wichtigkeit des Geschriebenen betonen helfen sollten. Auch Angaben zur Strukturierung des Dokumentes wurden auf diese Weise zwischen Autor und Druckerei kommuniziert: Welche Überschriften Teil des Inhaltsverzeichnisses werden sollten, auf welche Art und Weise Indices formatiert und sortiert werden sollten. Und - ganz wichtig - das Setzen der Fußnoten.

Dann kam das Computerzeitalter. Eine Erfindung demokratisierte die massenhafte Weitergabe und vor allem die Vervielfältigung von Wissen und Information: Der Drucker. In einer Zeit, in der das Internet noch nicht oder nur für einige Wenige an Universitäten verfügbar war, war das Ausdrucken von Informationen und Texten eine nie da gewesene Möglichkeit zur einfachen Verbreitung von Information. Zuerst wurde mit den damaligen nicht grafikfähigen Druckern so geschrieben, wie man es auch von Schreibmaschinen her kannte.

Bald aber kamen grafikfähige Modelle auf den Markt und es wiederholte sich, was schon mit Begin der Buchdruckkunst geschah: Man wollte die eigenen verfassten Dokumente auch visuell von der großen Masse abheben - Dazu brauchte man aber Möglichkeiten, dem Drucker zu erklären, was man beabsichtigte. Aus dieser Zeit stammten viele der Ansätze, die auch heute noch dazu benutzt werden: SGML und TeX seien hier nur als zwei Beispiele genannt. Doch dann kamen das Internet und grafikfähige Bildschirme auf. Die Idee vom papierlosen Büro wurde geboren und kreiste als Hype durch die Welt (auch heute noch wird diese Idee immer wieder mal aus der Mottenkiste geholt). Man wollte auf den Bildschirmen genau so hübsch formatierte und visuell auffällige Dokumente betrachten, wie auch auf den Ausdrucken. Dann erfand jemand am CERN HTML als Ableitung von SGML und setzte damit eine Entwicklung in Gang, die nicht aufzuhalten war: andere Informationssysteme wie zum Beispiel Gopher verkümmerten zur Bedeutungslosigkeit und heute nehmen die meisten Menschen WWW und Internet als Synonyme wahr.

Die Idee des Markup ist brillant: Man kennzeichne im Text lediglich die Bedeutung einzelner Elemente und lasse einen Profi die korrekten und ästhetisch ausgewogenen Formatierungen dafür finden. Auch die alte UNIX-Philosophie schimmert hier durch: Alle Anwendungen sollen sich auf eine Aufgabe konzentrieren und diese bestmöglich ausführen.

Und dann kam der Virus WYSIWYG: Von den Menschen wurde in den Jahren seit der industriellen Revolution verlangt, immer mehr Berufe zu beherrschen - ein Beispiel dafür ist der Chauffeur: in der Anfangsszeit des Autos wurde der gebraucht, um die Maschine zu pflegen und zu bedienen; irgendwann aber wurde einfach angenommen, daß jeder Mensch das beherrschen müssen und so ist dieser beruf heute nahezu verschwunden. Nun kam zu den 50 verschiedene Berufen, die ein Mensch beherrschen musste, um in der Gesellschaft zu funktionieren, noch ein weiterer hinzu: Schriftsetzer. Denn durch die Möglichkeit, die Formatierung bereits beim Schreiben des Textes festzulegen, war und ist man auch gezwungen, eben dies zu tun - selbst wenn man das gar nicht will (trifft vielleicht nicht auf so viele Menschen zu) oder nicht kann (und das trifft - da bin ich mir sicher - auf fast alle Menschen zu).

Was hat uns also WYSIWYG gebracht: Die Qualität der Dokumente ist aus Selbstüberschätzung und mangelndem Sachverstand der Autoren seit der Einführung immer weiter gesunken und - schlimmer noch - unser Anspruch ist abgestumpft: Weil wir so viel mittelmäßige oder schlimmere Machwerke sehen, regen wir uns nicht mehr darüber auf, sondern nehmen sie als normal und Standard hin. Traurig, das - da kann man nur froh sein, daß es noch professionelle Systeme gibt, die traditionelles Markup unterstützen, sei es TeX, Docbook oder auch (richtig angewendet) HTML.

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Ich wünsche allen Lesern viel Spaß und hin und wieder einen kleinen AHA!-Effekt...

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